Pierre Schaeffer

Pierre Schaeffer

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Pierre Schaeffer wurde am 14. August 1910 in Nancy geboren und verstarb am 19. August 1995 in Aix-en-Provence. Er war ein französischer Komponist, Rundfunksprecher, Ingenieur und Schriftsteller. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte Schaeffer eine neue musikalische Praxis, die den Vorwurf, die abendländische Musik verschließe sich mit der Beschränkung auf traditionelle Musikinstrumente und der daraus resultierenden Beschränkung auf festgelegte Tonhöhen einer wichtigen Sphäre, hinter sich ließ. Er prägte dafür den Begriff der musique concrète und ging von einem offenen Zugang zu Klängen aus.

Durch die Arbeit mit Tonbändern verzichtete Schaeffer auf eine traditionelle Notation. Dadurch hinterfragte er nicht nur das traditionelle Instrumentarium, sondern löste auch das Verhältnis zwischen Komponist und Interpret auf.

Seine innovativen Arbeiten sind in den Naturwissenschaften, insbesondere in der Kommunikation und Akustik sowie in verschiedenen Künsten wie Musik, Literatur und Radiopräsentation nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden. Sein Anti-Atom-Aktivismus und seine Kulturkritik haben ihm zu Lebzeiten breite Anerkennung verschafft. Schaeffer ist vor allem bekannt für seine Leistungen in der elektronischen und experimentellen Musik. Er war der Hauptentwickler einer einzigartigen und frühen Form der Avantgarde-Musik, die als Musique Concrète bekannt ist. Dieses Genre entstand in Europa durch die Nutzung neuer Musiktechnologien, die in der Nachkriegszeit im Anschluss an den Vormarsch der elektroakustischen und akusmatischen Musik entwickelt wurden.

Schaeffers Schriften umfassen Essays, Biografien, Kurzromane, musikalische Abhandlungen und Theaterstücke. Sie orientieren sich an seiner Entwicklung des Genres sowie an der Theorie und Musikphilosophie im Allgemeinen. Heute gilt Schaeffer als einer der einflussreichsten experimentellen, elektroakustischen und später elektronischen Musiker. Er war der erste Komponist, der zeitgenössische Aufnahme- und Samplingtechniken nutzte, die heute weltweit von fast allen Plattenproduktionsfirmen eingesetzt werden. Seine gemeinsamen Bemühungen gelten als Meilensteine in der Geschichte der elektronischen und experimentellen Musik.

Pierre Schaeffer – Etude aux chemins de fer, 1948

Frühes Experimentieren

Später im Jahr 1934 begann Schaeffer seine erste Anstellung als Ingenieur und arbeitete kurzzeitig in der Telekommunikation für die Postes et Télécommunications in Straßburg. Im Jahr 1935 begann er eine Beziehung mit Elisabeth Schmitt, heiratete sie später und bekam mit ihr sein erstes Kind, Marie-Claire Schaeffer. Anschließend zog er mit seiner neuen Familie 1936 offiziell nach Paris, wo er seine Arbeit in der Rundfunk- und Moderationsbranche aufnahm.

Er begann, sich von seinem ursprünglichen Interesse an Telekommunikation zu lösen und stattdessen der Musik zu widmen. Dabei verband er seine Fähigkeiten als Ingenieur mit seiner Leidenschaft für Klang. Bei seiner Arbeit beim Sender experimentierte Schaeffer mit Schallplatten und anderen Geräten. Er untersuchte die Geräusche, die sie erzeugten, und die Anwendungen dieser Geräusche. Schaeffers Experimentierzeit war für seine Entwicklung bedeutsam und warf viele grundlegende Fragen auf, insbesondere zu den Grenzen des modernen musikalischen Ausdrucks.

Pierre versuchte bei diesen Experimenten, Klänge rückwärts abzuspielen, zu verlangsamen, zu beschleunigen und mit anderen Klängen zu vergleichen. Diese Techniken waren zu dieser Zeit praktisch unbekannt. Er arbeitete mit neuen Zeitgenossen zusammen, die er über RTF kennengelernt hatte, und vertiefte so seine Experimente. Schaeffers Werk wurde immer avantgardistischer. Er forderte den traditionellen Musikstil heraus, indem er verschiedene Geräte und Praktiken einsetzte.

Schließlich kamen in seiner Arbeit eine einzigartige Vielfalt elektronischer Instrumente zum Einsatz. Schaeffer und seine Kollegen hatten diese Instrumente mit ihren eigenen technischen Fähigkeiten entwickelt. Dazu gehörten die chromatischen, gleitenden und universellen Phonogene, das Acousmonium von François Bayle sowie eine Vielzahl anderer Geräte wie Grammophone und einige der frühesten Tonbandgeräte.

Schriftsteller, religiöse Werke und die Geburt der Musique Concrète

1938 begann Schaeffer seine schriftstellerische Laufbahn mit verschiedenen Artikeln und Essays für die französische Musikzeitschrift Revue Musicale. Seine erste Kolumne, „Basic Truths“, setzte sich kritisch mit den musikalischen Strömungen der Zeit auseinander. Als überzeugter Katholik begann Schaeffer, religiös inspirierte Werke zu schreiben. Im selben Jahr wie seine „Grundwahrheiten“ veröffentlichte er seinen ersten Roman: „Chlothar Nicole – ein kurzer christlicher Roman“. 1942 gründet Pierre Schaeffer das Studio d’Essai, später bekannt als Club d’Essai, bei der Radiodiffusion Nationale (Frankreich). Es spielte eine wichtige Rolle im französischen Widerstand während des Zweiten Weltkriegs und entwickelte sich später zu einem Zentrum für musikalische Experimente.

1949 lernte Schaeffer den Schlagzeuger und Komponisten Pierre Henry kennen, mit dem er an zahlreichen Kompositionen zusammenarbeitete. 1951 gründete er die Groupe de Recherche de Musique Concrète (GRMC) am Institut français de radio. Dadurch erhielt er ein neues Studio, zu dem auch ein Tonbandgerät gehörte. Dies war eine wichtige Entwicklung für Schaeffer, der zuvor mit Phonographen und Plattenspielern gearbeitet hatte, um Musik zu produzieren. Schaeffer wird allgemein als der erste Komponist angesehen, der mit Tonbändern musizierte.

Seine fortgesetzten Experimente führten 1952 zur Veröffentlichung von À la Recherche d’une Musique Concrète (dt. Auf der Suche nach einer konkreten Musik), einer Zusammenfassung seiner bisherigen Arbeitsmethoden. Seine einzige Oper, Orphée 53 („Orphée 53“), wurde 1953 uraufgeführt.

Schaeffer verließ die GRMC 1953 und reformierte sie 1958 als Groupe de Recherche Musicales (zunächst ohne „s“, dann mit „s“). 1954 gründete Schaeffer zusammen mit dem Komponisten, Pianisten und Musikwissenschaftler Charles Duvelle das traditionelle Musiklabel Ocora („Office de Coopération Radiophonique“) mit weltweiter Ausstrahlung, um die ländlichen Klanglandschaften Afrikas zu erhalten. Ocora diente auch als Ausbildungsstätte für Techniker der nationalen afrikanischen Rundfunkanstalten. Im Laufe der Jahre betreute Schaeffer eine Reihe von Studenten, die später erfolgreiche Karrieren machten, darunter Éliane Radigue und der junge Jean-Michel Jarre, der seinen Mentor den ersten Discjockey nannte. Seine letzte Etüde entstand 1959: die Études aux Objets.

Theoretische Position

Pierre Schaeffer hat mit seinem theoretischen Hauptwerk, dem „traité des objets musicaux“, erstmals ein sprachliches System entwickelt, das es ermöglicht, die neuen musikalischen Strukturen der elektroakustischen Musik zu erfassen und zu kommunizieren. Er reagierte damit vor allem auf eine Entwicklung, die er selbst vorangetrieben hatte: Die musique concrète erforderte, da sie sich gezielt von harmonischen Strukturen löste, einen neuen theoretischen Unterbau sowie einen neuen Sprachschatz.

Zusätzlich zu seinem Werk veröffentlichte Schaeffer das „Solfège de l’objet sonore“ auf drei Schallplatten. Durch Experimente mit Klangtransformationen auf Tonband konnte er zeigen, dass es eine überraschende Diskrepanz zwischen der physikalischen Erscheinung und der wahrgenommenen Qualität von Klängen gibt. Basierend auf dieser Erkenntnis entwickelte er einen Eigenschaftskatalog der Klänge, der sich nicht an der physikalischen Erscheinung, sondern direkt am Hören orientierte. Schaeffer äußerte sich auch zur Diskrepanz zwischen physikalischer Zeit und der wahrgenommenen Dauer musikalischer Ereignisse.

Der Theorienstreit zwischen der musique concrète aus Paris und der elektronischen Musik Kölner Prägung, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts aufkam, wurde oft auf die Personen Pierre Schaeffer und Karlheinz Stockhausen reduziert.

Das Klangobjekt, Typologie und Morphologie

Die zentrale Voraussetzung für Schaeffers theoretische Erwägungen war die Definition des Klangobjekts als kleinster Nenner musikalischer Erfahrung. Diese sollten als kleinste Einheit der Musik betrachtet werden. Schaeffer sah die menschliche Wahrnehmung im Zusammenhang mit Musik grundsätzlich über die rudimentäre Einteilung in einzelne musikalische Ereignisse: die Klangobjekte. Schaeffer entwickelte in seinem Traité eine Typologie des Klangobjekts. Er Unterschied zwischen ausgewogenen und nicht ausgewogenen Klängen anhand der Parameter Masse und zeitliche Ausdehnung. In einem zweiten Schritt entwarf er eine Morphologie des Klangobjekts, die in sieben Kriterien unterteilt ist: Masse, harmonische Klangfarbe, Körnung, Allure, Dynamik, melodisches Profil und Masse-Profil. Diese dient sowohl als Orientierung für die kompositorische Arbeit als auch als Werkzeug zur Analyse.

Musique Concrète

Pierre Schaeffer prägte den Begriff Musique Concrète, der sich von der traditionellen Musik abgrenzt, indem er von konkreten Klängen ausgeht und diese abstrahiert. Es ist der Versuch, Musik von Grund auf neu zu konstruieren, indem traditionelle Instrumente, Harmonie und Rhythmus neu interpretiert werden.

Schaeffers Arbeit hat drei wesentliche Bedeutungen: die Einbeziehung aller Klänge in die Musik, die Manipulation von aufgenommenen Klängen für die Komposition und die Betonung des „Spielens“ bei der Schaffung von Musik. Mit Techniken wie Tape-Looping und Tape-Splicing schuf er Klangcollagen und wurde zu einem Vorläufer zeitgenössischer Sampling-Praktiken. Seine Verwendung von Aufnahmetechniken und experimentellen Instrumenten, inspiriert von Luigi Russolo, ebnete den Weg für neue musikalische Möglichkeiten. Die Idee des „Spielens“ reflektiert improvisierte Klangexperimente und elektroakustische Improvisation als Kern der Musique Concrète.

Leben

Pierre Schaeffer wurde 1910 in Nancy geboren. Seine Eltern waren beide Musiker, sein Vater Geiger und seine Mutter Sängerin. Obwohl es zunächst so aussah, als würde er auch die Musik als Beruf ergreifen, rieten ihm seine Eltern jedoch von Kindesbeinen an von musikalischen Aktivitäten ab und ließen ihn als Ingenieur ausbilden. Er studierte an mehreren Universitäten in dieser Richtung. Die erste davon war das Lycée Saint-Sigisbert in seiner Heimatstadt Nancy. 1929 zog er in den Westen nach Paris an die École Polytechnique und schloss 1934 seine Ausbildung an der École supérieure d’électricité ab.

Er erwarb ein Diplom in Rundfunk an der École Polytechnique. Es ist unklar, ob er auch einen ähnlichen Abschluss von der École nationale supérieure des télécommunications erhalten hat, da nicht nachweisbar ist, ob er diese Universität jemals besucht hat oder nicht.

Schaeffer arbeitete für den französischen Rundfunk nach dem Zweiten Weltkrieg. Er experimentierte mit Alltagsgeräuschen und nahm sie auf Schallplatte und Tonband auf. Diese Aufnahmen verfremdete er und montierte sie zu neuen Klangkompositionen. Die Mittel der Verfremdung beschränkten sich auf die Wiedergabegeschwindigkeit und -richtung. Außerdem entwickelte er eine Möglichkeit, kurze Abschnitte einer Schallplatte als Schleife wiederzugeben. Er nannte die dabei entstandene experimentelle Musik Musique concrète (Konkrete Musik). Diese hatte großen Einfluss auf die Elektronische Musik und das Hörspiel.

Von 1968 bis 1980 war Schaeffer außerordentlicher Professor am Pariser Konservatorium, wo er eine Klasse für musikalische Grundlagen und ihre Anwendung im audiovisuellen Bereich einrichtete. Nach dem Erdbeben in Armenien 1988 leitete der damals 78-jährige Schaeffer ein 498-köpfiges französisches Rettungsteam nach Leninakan, um nach Überlebenden zu suchen. Er blieb dort, bis alle ausländischen Helfer evakuiert wurden. Später erkrankte Schaeffer an Alzheimer und starb 1995 im Alter von 85 Jahren in Aix-en-Provence. Er wurde in Delincourt im grünen Vexin beigesetzt, wo er einst sein Landgut besaß. Viele seiner Kollegen erinnerten sich später an Schaeffer als den „Musiker der Klänge“. Sein letztes Werk schuf er 1979.

Einflüsse auf die Musik

Schaeffers Einfluss auf die Musikwelt ist unbestritten. Seine Schüler, darunter Éliane Radigue, übernahmen seine Techniken und schufen bahnbrechende Werke unter Verwendung von Tonbandfeedback und anderen innovativen Ansätzen. Diese Künstler, wie auch Jean Michel Jarre und Pierre Henry, haben Schaeffer mit eigenen Werken geehrt und seine Ideen weitergeführt.

In den 1980er Jahren distanzierte sich Schaeffer von der Avantgarde und förderte einen neuen Ansatz, der von seinem Schüler Otavio Henrique Soares Brandão verfeinert wurde. Brandão entwickelte eine innovative Klavier- und Instrumentaltechnik, die die Tradition respektierte. Dieser Ansatz beeinflusste nicht nur die zeitgenössische Musik, sondern auch andere Genres wie den Rap, wo gewöhnliche Klänge für kreative Produktionen verwendet werden. Schaeffers Vermächtnis lebt in den Werken seiner Schüler und in der breiten Anwendung seiner Ideen in der Musikindustrie weiter.

Musikalische Werke

  • 1943/44 La coquille a planetes, INA, ADES, Manuscrit
  • 1948 Concertino-Diapason (Zusammenarbeit mit J.-J. Grunenwald)
  • 1948 Cinq études de bruits
  • 1949 Suite für 14 Instrumente
  • 1949 Variationen sur une flûte mexicaine
  • 1950 Bidule en ut (Zusammenarbeit mit Pierre Henry)
  • 1950 La course au Kilocycle (Radiomusik, Zusammenarbeit mit Pierre Henry)
  • 1950 L’Oiseau Rai
  • 1950 Symphonie pour un homme seul (Zusammenarbeit mit Pierre Henry; überarbeitete Versionen 1953, 1955 und 1966 (Henry)
  • 1951 Toute la lyre (Pantomime, Zusammenarbeit mit Pierre Henry. Auch bekannt als Orphée 51)
  • 1952 Maskerade (Filmmusik)
  • 1952 Les paroles dégelées (Musik für eine Radioproduktion)
  • 1952 Scènes de Don Juan (Bühnenmusik, Zusammenarbeit mit Monique Rollin)
  • 1953 Orphée 53 (Oper)
  • 1957 Sahara d’aujourd’hui (Filmmusik, Zusammenarbeit mit Pierre Henry)
  • 1958 Continuo (Zusammenarbeit mit Luc Ferrari)
  • 1958 Etude aux sons animés
  • 1958 Etude aux allures
  • 1958 Exposition française à Londres (Zusammenarbeit mit Luc Ferrari)
  • 1959 Etude aux objets
  • 1959 Nocturne aux chemins de fer (Bühnenmusik)
  • 1959 Phèdre (Bühnenmusik)
  • 1959 Bidule en ut
  • 1959 Simultané camerounais
  • 1961 Phèdre
  • 1962 L’aura d’Olga (Musik für eine Radioproduktion, Zusammenarbeit mit Claude Arrieu)
  • 1967 Solfège de l’objet sonor
  • 1975 Le trièdre fertile (Zusammenarbeit mit Bernard Durr)
  • 1979 Bilude

Studioalben

  • 1979 Œuvres de Pierre Schaeffer Prospective du XXIe siècle und Classique du XXe siècle, Philips
  • 1990 L’oeuvre Musicale, 4 x CD, Box Set