1900-1919

Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts - 1900-1919

Inhaltsverzeichnis

Musik von 1900-1919: Innovation und Umbruch

Die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts (1900-1919) markieren einen grundlegenden Wandel in der Musikgeschichte. Während die Spätromantik ihren Höhepunkt erreichte, führten stilistische Spannungen zur Entstehung avantgardistischer Bewegungen, die die Harmonik revolutionierten. Parallel dazu bildete sich mit dem Jazz ein völlig neues Genre heraus, das afroamerikanische und europäische Musiktraditionen miteinander verband. Die rasante technische Entwicklung, insbesondere des Grammophons, veränderte zudem die Verbreitung und den Konsum von Musik grundlegend.

Der Zerfall der Tonalität und die Entstehung neuer Kompositionsstile

In der klassischen Musik führte der Bruch mit der traditionellen Tonalität zu bahnbrechenden Neuerungen. Komponisten wie Arnold Schönberg experimentierten mit Atonalität und entwickelten erste Ansätze des Serialismus, der später prägend für die Musik des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig etablierte sich der Impressionismus, vor allem durch Claude Debussy, der mit neuartigen Harmonien, Klangfarben und Tonleiterstrukturen die musikalische Ästhetik revolutionierte. Komponisten wie Igor Strawinsky schockierten mit Werken wie Le Sacre du Printemps (1913), das durch seine radikale Rhythmik und Dissonanzen das Publikum polarisierte und als wegweisendes Werk der Moderne gilt.

Technologische Innovationen: Grammophon und Schallplatte

Der technische Fortschritt revolutionierte die Verbreitung von Musik. Die Erfindung des Grammophons durch Emil Berliner (1887) und die Entwicklung der Schellackplatte um 1895 ermöglichten erstmals die massenhafte Verbreitung von Musikaufnahmen. Musikproduktion und -rezeption verlagerten sich zunehmend von der Live-Aufführung zum privaten Musikhören. Diese Demokratisierung führte zu einer größeren Verbreitung verschiedener Musikstile, insbesondere der populären Musik und des aufkommenden Jazz.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen: Urbanisierung und Industrialisierung

Die fortschreitende Industrialisierung und Urbanisierung veränderte die gesellschaftlichen Strukturen und damit auch die Musikszene. Die wachsenden Städte boten neue kulturelle Zentren für musikalische Innovationen und brachten ein größeres Publikum hervor. Durch die Massenproduktion wurden Musikinstrumente, insbesondere das Klavier, für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich. Zudem ermöglichte der wachsende Wohlstand bestimmter sozialer Gruppen eine verstärkte Förderung der Künste.

Die Geburt des Jazz: eine neue musikalische Sprache

Anfang des 20. Jahrhunderts entstand in den afroamerikanischen Gemeinden von New Orleans der Jazz – eine einzigartige Verschmelzung afrikanischer Rhythmen mit europäischen Harmonien. Beeinflusst von Ragtime, Blues, Spirituals und Brassbands entwickelte sich eine auf Improvisation basierende Musikrichtung, die bald weltweit populär wurde. Der Jazz war eine der bedeutendsten musikalischen Neuerungen dieser Epoche und sollte das ganze Jahrhundert prägen.

Elektronische Klangerzeugung und die Anfänge des Radios

Während die elektronische Musik noch in den Kinderschuhen steckte, wurden in dieser Zeit die ersten experimentellen elektronischen Instrumente entwickelt, darunter das Theremin des Erfinders und Physikers Leon Theremin und die drahtlose Orgel Désilets. Gleichzeitig legten die ersten Radiosendungen um 1920 den Grundstein für die spätere massenhafte Verbreitung von Musik über das Radio.

Improvisation und Rhythmus als Grundlage des frühen Jazz

Ein zentrales Element des frühen Jazz war die Improvisation, die es den Musikern ermöglichte, innerhalb eines harmonischen Rahmens spontan zu variieren. Insbesondere die kollektive Improvisation, bei der Kornett, Klarinette und Posaune Melodielinien miteinander verwoben, prägte den New Orleans-Stil. Der Swing-Rhythmus, der sich durch Synkopierungen und einen ausgeprägten Vorwärtsdrang auszeichnete, wurde zu einem wichtigen Merkmal des Jazz.

Die Verwendung von „Blue Notes“, absichtlich gesenkten oder gebogenen Tönen, verlieh der Musik eine expressive Färbung, während aus der afrikanischen Musiktradition stammende „Call and Response“-Muster eine wichtige Rolle spielten. Die frühen Jazzbands bestanden aus einer Frontline mit Kornett (später Trompete), Klarinette und Posaune und einer Rhythmusgruppe mit Klavier, Bass (oder Tuba), Schlagzeug und oft Banjo oder Gitarre. Die einzigartige Verbindung von Improvisation, rhythmischer Innovation und ausdrucksstarken Melodien machte den frühen Jazz zu einer der populärsten Musikrichtungen.

Wegbereiter des Jazz: Jelly Roll Morton, Louis Armstrong und King Oliver

Jelly Roll Morton (Ferdinand Joseph LaMothe, ca. 1890-1941), ein kreolischer Pianist, Komponist und Bandleader, beansprucht für sich, den Jazz erfunden zu haben. Als erster Jazz-Arrangeur brachte er Struktur in die Improvisation, indem er seine Kompositionen schriftlich festhielt. Werke wie „Jelly Roll Blues“ (1915) und „King Porter Stomp“ gelten als Meilensteine. Louis Armstrong (1901-1971), Kornettist und Trompeter aus New Orleans, revolutionierte mit seinen Soli und virtuosen Improvisationen den Jazz.

Nach seiner Zeit in King Olivers Band wurde er zu einer der einflussreichsten Figuren der Jazzgeschichte und prägte den Jazz auch durch seinen einzigartigen Gesangsstil. King Oliver (Joseph Oliver, 1885-1938), ein bedeutender Kornettist, leitete in Chicago die Creole Jazz Band, die 1923 bahnbrechende Aufnahmen machte. Seine melodische Phrasierung und sein innovativer Einsatz von Dämpfern beeinflussten Generationen von Musikern. Gemeinsam legten diese Pioniere den Grundstein für die Entwicklung des Jazz.

Die Avantgarde-Musik: Radikaler Bruch mit der Tradition

Die Avantgarde-Bewegung in der Musik entstand als Reaktion auf die Grenzen etablierter Traditionen und suchte nach neuen Ausdrucksformen für die Komplexität der Moderne. Im Mittelpunkt stand das Experimentieren mit unkonventionellen Klängen, Formen und Techniken. Die Bewegung war eng mit dem Futurismus verbunden, der Modernität, Geschwindigkeit und Technologie feierte. Diese kühne Suche nach neuen Klangmöglichkeiten hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Musik des 20. Jahrhunderts.

Erik Satie: Wegbereiter des Minimalismus

Der exzentrische Komponist Erik Satie (1866-1925) gilt als Wegbereiter des Minimalismus. Seine Musik, die sich durch Wiederholungen, modale Melodien und spärliche Texturen auszeichnet, war eine bewusste Abkehr von der gefühlsbetonten Romantik. Wegweisend waren seine Werke „Ogives“ (1886), „Vexations“ (1893) und die berühmten „Gymnopédies“ (1888) sowie „Gnossiennes“ (ab 1890). Mit seiner „Möbelmusik“ (musique d’ameublement) propagierte er die Idee der Musik als Hintergrundelement. Seine radikalen Konzepte beeinflussten spätere Strömungen wie Minimalismus und Ambient Music.

Die futuristische Musikbewegung: Klänge des Maschinenzeitalters

In den 1910er Jahren entwickelte sich in Italien die futuristische Musikbewegung, die sich von industriellen Klängen inspirieren ließ. Luigi Russolos Manifest „L’arte dei rumori“ (1913) forderte die Integration von Maschinen- und Stadtgeräuschen in musikalische Kompositionen. Russolo erfand zu diesem Zweck die „Intonarumori“, geräuscherzeugende Instrumente, die neue Klangdimensionen eröffneten. Die futuristische Musik verzichtete auf traditionelle Harmonien und Melodien zugunsten von Klangfarbe, Rhythmus und Dynamik. Das erste futuristische Konzert 1914 erregte Aufsehen. Obwohl die Bewegung nur von kurzer Dauer war, beeinflusste sie die spätere experimentelle und elektronische Musik nachhaltig.

Der Erste Weltkrieg und seine Auswirkungen auf die Musik

Der Erste Weltkrieg (1914-1918) markierte das Ende der Spätromantik und führte zu Veränderungen in der europäischen Musiklandschaft. Der Krieg beeinträchtigte die Kulturförderung, während ab 1917 der amerikanische Jazz in Europa populär wurde. Komponisten wie Arnold Schönberg, Alban Berg und Maurice Ravel verarbeiteten ihre Kriegserlebnisse in neuen Stilen. Musik wurde an der Front und in der Heimat als Propagandainstrument eingesetzt. Die Folgen des Krieges führten zu einer Abkehr von den idealistischen Kunstauffassungen der Vorkriegszeit.

Neue Musikstile und technische Innovationen

In Deutschland führten Arnold Schönberg und Igor Strawinsky die „Neue Musik“ an, in Europa gewannen Jazz und amerikanische Tanzmusik an Einfluss. Die Harlem Hellfighters brachten 1917 authentischen Jazz nach Paris und lösten Begeisterung aus. Die Elemente des Swing, die sich in den 1920er Jahren entwickelten, bildeten die Grundlage für den Swing der 1930er Jahre. Der Charleston wurde zum Symbol der „Goldenen Zwanziger“. Zudem ermöglichte die Erfindung elektronischer Instrumente wie Theremin und Ondes-Martenot neue Klangexperimente.

Gospel, Schlager und Country: Die Entwicklung populärer Musikstile

Die Gospelmusik hat ihre Wurzeln in den afroamerikanischen Spirituals und begann sich zwischen 1900 und 1920 als eigenständiges Genre zu etablieren. Ein wichtiger Wegbereiter war Charles Albert Tindley. Popularität erlangte der Southern Gospel durch das Radio. Der Begriff „Schlager“ stammt aus dem 19. Jahrhundert, wurde aber in den 1920er Jahren vom Jazz beeinflusst. Die Country-Musik entwickelte sich aus britischer Volksmusik, Kirchenliedern, Blues und Sklavenliedern. Erste kommerzielle Aufnahmen in den 1920er Jahren legten den Grundstein für ihren Erfolg.

Künstler von 1900 bis 1919

  • Alban Berg (Expressionistische/Atonale Klassik)  
  • Albert Roussel (Impressionistische/Neoklassizistische Klassik)  
  • Alexander Scriabin (Spätromantische/Impressionistische Klassik)  
  • Anton Webern (Expressionistische/Atonale Klassik)  
  • Arnold Schönberg (Expressionistische/Atonale Klassik)  
  • Béla Bartók (Postromantische/Modernistische Klassik)  
  • Charles Ives (Experimentelle/Modernistische Klassik)  
  • Claude Debussy (Impressionistische Klassik)  
  • Edward Elgar (Spätromantische Klassik)  
  • Erik Satie (Avantgarde, Minimalismus)  
  • Francesco Balilla Pratella (Futuristische Musik)  
  • Frederick Delius (Impressionistische/Spätromantische Klassik)  
  • Giacomo Puccini (Spätromantische Oper)  
  • Gustav Mahler (Spätromantische Klassik)  
  • Igor Strawinsky (Modernistische Klassik, Primitivismus)  
  • Jean Sibelius (Spätromantische/Nationalistische Klassik)  
  • Jelly Roll Morton (Früher Jazz)  
  • King Oliver (Früher Jazz)  
  • Kid Ory (Früher Jazz, Posaune)  
  • Louis Armstrong (Früher Jazz)  
  • Luigi Russolo (Futuristische Musik)  
  • Manuel de Falla (Neoklassizistische/Spätromantische Klassik)  
  • Maurice Ravel (Impressionistische Klassik)  
  • Ralph Vaughan Williams (Spätromantische/Nationalistische Klassik)  
  • Richard Strauss (Spätromantische Klassik)  
  • Scott Joplin (Ragtime)  
  • Sergei Prokofiev (Neoklassizistische/Modernistische Klassik)  
  • Sidney Bechet (Früher Jazz, Klarinette und Sopransaxophon)  
  • W.C. Handy (Blues)