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Maultrommeln

Maultrommeln

Inhaltsverzeichnis

Was sind Maultrommeln?

Die Maultrommel ist ein kleines Musikinstrument mit einem Rahmen, an dem eine bewegliche Zunge befestigt ist. Diese Zunge wird am freien Ende vom Spieler zum Schwingen gebracht. Es gibt zwei Hauptarten von Maultrommeln: Rahmenmaultrommeln und Bügelmaultrommeln. Bei den Rahmenmaultrommeln ist die Zunge vollständig vom Rahmen umschlossen und wird indirekt über eine Schnur am Ende angeregt. Bügelmaultrommeln bestehen aus Metall, die Zunge ragt mit ihrer Spitze aus dem Rahmen heraus und wird direkt mit dem Finger angeschlagen. Klang und Tonhöhe des an die Lippen gehaltenen Instruments werden durch die Größe der Mundhöhle und die Atmung beeinflusst, wodurch verschiedene Obertöne hörbar gemacht werden können. 

Klassifizierung und Klang

Nach der Systematik von Hornbostel-Sachs (1914) gehört die Maultrommel zu den Zupfidiophonen. Es gibt aber auch Argumente, sie als freies Aerophon mit durchschlagender Zunge zu klassifizieren. Trotz ihres begrenzten Tonumfangs kann die Maultrommel aufgrund der verschiedenen erzeugbaren Obertöne und des stets vorhandenen Grundtons als Borduninstrument bezeichnet werden. In der Volksmusik wurde sie um 1900 zunehmend von der Mundharmonika verdrängt, die mit durchschlagenden Zungen ebenfalls Töne erzeugt, jedoch nur deren Grundtöne. In Zentral- und Nordasien leitet sich der Name Maultrommel meist vom türkischen Wort „qopuz“ oder vom mongolischen „chuur“ ab.

Historische Entwicklung

Herkunft und Verbreitung

Der Ursprung der Maultrommel liegt wahrscheinlich in Asien, wobei viele der ältesten Exemplare aus Holz, insbesondere Bambus, hergestellt wurden. Archäologische Funde belegen die Verbreitung der Maultrommel in Europa ab dem 13. Jahrhundert. Ein Beispiel ist die Steinskulptur eines Maultrommel spielenden Engels auf der Chorempore der Kathedrale von Exeter aus dem Jahr 1340.

Mittelalter und Renaissance

Im deutschsprachigen Raum war die Maultrommel vor allem in der Volksmusik beliebt. Bei Ausgrabungen auf der 1399 zerstörten hessischen Burg Tannenberg wurde eine Maultrommel gefunden, die auf ein asiatisches Vorbild schließen lässt. Sebastian Virdung zeigt in seiner „Musica getutscht und außgezogen“ von 1511 eine Maultrommel, und in Hans Burgkmayrs Holzschnittfolge „Triumphzug des Kaisers Maximilian“ um 1515 ist ein Maultrommel spielender Hofnarr abgebildet.

Barock und Hochkultur

Die Maultrommel fand in der Barockzeit, in der Volksinstrumente sehr beliebt waren, Eingang in die Musik der Hochkultur. Der Komponist Johann Georg Albrechtsberger schrieb mehrere Konzerte für Maultrommel. Ein bekannter Spieler war Bruno Glatzl, ein Benediktinerpater aus Melk, der für Kaiser Joseph II. spielte.

Virtuosen und Konzerte

Der berühmteste Maultrommelvirtuose war der 1761 in Mittersill geborene Franz Koch. Die „Allgemeine musikalische Zeitung“ berichtete mehrmals über seine Auftritte, wobei die Maultrommel oft als „Mundharmonika“ bezeichnet wurde. 

Moderne und politische Einflüsse

Im stalinistischen Russland wurde die Volksmusik in den Dienst der Staatsideologie gestellt und die Maultrommel verboten, möglicherweise wegen ihrer Verbindung zum Schamanismus, der als rückständig galt.

Bauart

Klassifizierung und Bauweise

Die Maultrommel wird in der Hornbostel-Sachs-Systematik zu den Zupfinstrumenten gezählt, obwohl sie von einigen Instrumentenkundlern auch zu den Aerophonen gezählt wird. Unabhängig von der Klassifizierung bleibt das Funktionsprinzip der Maultrommel gleich: Zwischen den Schenkeln eines U-förmigen Rahmens ist eine Blattfeder als Federzunge befestigt. Diese Federzunge wird mit dem Finger in Schwingung versetzt. Die Form des Rahmens variiert regional, das Grundprinzip bleibt jedoch gleich.

Die Tonhöhe des Grundtons wird im Wesentlichen durch die Länge, Dicke, Härte und Form der Feder bestimmt. Die Breite der Feder beeinflusst die Torsionsschwingungen. Ein enger Abstand zwischen Feder und Bügel verbessert den Obertongehalt, der für den Klangcharakter der Maultrommel entscheidend ist.

Materialien und Typen

Die meisten Maultrommeln sind aus Metall (z.B. Eisen, Bronze oder Messing) und gehören zu den Bügelmaultrommeln, bei denen die Zunge über den Bügel hinausragt und direkt gezupft wird. Rahmenmaultrommeln haben dagegen eine Zunge, die von einem Rahmen umschlossen ist und indirekt angeregt wird. Südostasiatische Rahmenmaultrommeln aus Bambus wie die Genggong auf Bali und Lombok oder die Karinding im Westen Javas sind Beispiele für diesen Typ.

Spielweise

Technik und Klang

Zum Spielen wird die Maultrommel leicht an die Schneidezähne angelegt, die Lippen liegen an den Oberschenkeln an. Die Federzunge schwingt in der Mundhöhle, die als Resonanzkörper dient. Durch Variation des Mundraumvolumens und der Geometrie (ähnlich der Vokalbildung bei „a-o-u-ö-e-i“) entsteht ein Ton mit verschiedenen Obertönen und Klangspektren. Durch gleichzeitiges Blasen oder Saugen wird dieser Ton verstärkt. Oft wechseln Musiker zwischen mehreren Maultrommeln, um den Tonumfang zu erweitern.

Historische Virtuosen und Instrumentenentwicklung

Jahrhunderts gab es Maultrommelvirtuosen wie Johann Heinrich Scheibler, der bis zu zehn Maultrommeln auf einer Tragscheibe montierte, um chromatische Tonfolgen zu ermöglichen. Er nannte dieses Instrument AURA.

Musikalische Nutzung - Traditionell und modern

Die Maultrommel ist in der Volksmusik auf der ganzen Welt verbreitet. Sie ist ein traditionelles Instrument im Alpenraum von Ungarn und Slowenien bis Frankreich, Sardinien und Korsika. In der österreichischen Volksmusik ermöglicht die Verwendung von mehreren Maultrommeln, die auf Grundton gestimmt sind, die Einbindung in die Dur-Moll-Harmonik. Johann Georg Albrechtsberger, Beethovens Lehrer, schrieb um 1765 sieben Konzerte für Maultrommel, die Melodien und Stilelemente der zeitgenössischen österreichischen Volksmusik interpretieren.

In Zentralasien wird die Maultrommel in der tuwinischen Musik verwendet, oft in Verbindung mit Ober- und Untertongesang, bekannt durch Gruppen wie Huun-Huur-Tu und Yat-Kha. In Afrika, insbesondere im südlichen Afrika, sind europäische Maultrommeln seit den 1930er Jahren weit verbreitet.

Popkultur und moderne Musik

Der Klang der Maultrommel ist vielen durch die Titelmelodie der Sesamstraße bekannt. In den 1970er Jahren wurde sie durch die Gruppe Medicine Head in den Popcharts populär. Die Maultrommel ist auch im Folk Metal und im Viking Metal zu finden, z.B. bei der Band Bathory. Weitere bekannte Musiker, die die Maultrommel verwenden, sind Carl Eulenstein, Ennio Morricone, Tapani Varis, Anton Bruhin, Albin Paulus, Bernhard Mikuskovics, Wolfdietrich Janscha, Toni Geiling, Attwenger, Seeed, Jon Bon Jovi, The Who, Red Hot Chili Peppers, Leonard Cohen, Joe Walsh, Saltatio Mortis, Subway to Sally und Die Ärzte.

Hans Werner Henze setzte die Maultrommel in seinem Rezital „El Cimarrón“ ein. Im Hörspiel und Zeichentrickfilm „Die Biene Maja“ wird der Sprung des Grashüpfers Flip von einer Maultrommel musikalisch begleitet.