British Blues

British Blues, Musikstil

Inhaltsverzeichnis

Was ist British Blues?

Unter dem Begriff „British Blues” versteht man die britische Variante des amerikanischen Blues. Er ist nur einer von vielen Blues-Stilen. Der British Blues entstand aus einer leidenschaftlichen Rezeption afroamerikanischer Musik und entwickelte sich in den 1950er- und 1960er-Jahren zu einem eigenständigen, elektrifizierten Stil mit weltweiter Wirkung. Vom akustischen Countryblues über den Skiffle-Boom bis hin zum elektrischen Bluesrock prägte das Genre ganze Generationen britischer Musiker. Es verband soziale Aufbruchstimmung mit musikalischer Neugier, ließ Ikonen wie Alexis Korner, John Mayall oder Fleetwood Mac entstehen und beeinflusste nachhaltig Rock, Pop und Heavy Metal. Auch heute hallt sein Sound in Clubs, auf Festivals und im kollektiven Gedächtnis der Musikwelt nach. 

Historischer Ursprung und geografische Verwurzelung

Die Wurzeln des British Blues liegen nicht in den Pubs Londons, sondern in den Schiffsladeräumen und Militärstützpunkten des Zweiten Weltkriegs. Amerikanische GIs brachten nicht nur Zigaretten und Swingplatten, sondern auch die ersten Blues-Schellacks mit, die in Großbritannien kursierten. In den 1950er-Jahren wurden Ma Rainey, Bessie Smith und Boogie-Woogie-Künstler bei britischen Jazzfans zunehmend bekannt. Decca Records, ein Sublabel von EMI, erkannte den wachsenden Markt und veröffentlichte Blues- und Jazzplatten, die – wenn auch randständig – den Nährboden für etwas Neues legten.

Skiffle, Lead Belly und der Weg zum Blues

Die Brücke vom traditionellen Jazz zum modernen Blues war der Skiffle – ein Do-it-yourself-Musikstil, der mit Teekisten-Bass und Waschbrett begann, aber inhaltlich schon tief im amerikanischen Folk und Blues verwurzelt war. Lonnie Donegan, die zentrale Figur des Skiffle-Booms, coverte Lieder von Lead Belly und öffnete damit vielen jungen Briten die Tür zur afroamerikanischen Musikwelt. Als der Hype abebbte, suchten viele Musiker eine neue Ausdrucksform – und fanden sie im Blues. Zu ihnen gehörten Cyril Davies und Alexis Korner, die bei Chris Barber spielten und bereits in der Jazzszene vernetzt waren. 

The London Blues and Barrelhouse Club – Die Geburtsstätte

Davies war Mitglied im London Skiffle Club im Roundhouse Public House, wo bald auch erste US-Bluesgrößen wie Big Bill Broonzy auftraten. Diese Auftritte waren Schlüsselmomente: Die rohe Authentizität des Blues beeindruckte die jungen Musiker tief. Davies und Korner beschlossen daraufhin, den Club zu schließen und ihn einen Monat später als „The London Blues and Barrelhouse Club” mit einem klaren Fokus auf Blues wieder zu eröffnen. Bis dahin dominierte der akustische Countryblues, doch 1958 sollte alles anders werden. 

Der elektrische Wendepunkt: Muddy Waters

Als Muddy Waters 1958 erstmals in England auftrat – mit elektrischer Gitarre – war das ein Erdbeben für die Szene. Davies und Korner verstanden: Der Blues der Zukunft war elektrisch. Sie gründeten Blues Incorporated – die Keimzelle des elektrischen British Blues. Ihre Band war weniger ein festes Ensemble als eine offene Bühne: Wer konnte, durfte mitspielen. Diese Offenheit wurde zur Talentschmiede. 

Blues Incorporated – die Kaderschmiede einer ganzen Generation

Bei der Bluesband „Blues Incorporated” versammelte sich die spätere Elite der britischen Musikszene. Namen wie:

  • Mick Jagger (geb. 1943)
  • Charlie Watts (1941–2021)
  • Brian Jones (1942–1969)
  • Jack Bruce (1943–2014)
  • Ginger Baker (1939–2019)
  • Peter Green (1946–2020)
  • Graham Bond (1937–1974)
  • Long John Baldry (1941–2005)

 

– spielten hier, teils gemeinsam, teils als Gäste. Die Band zog bald in den legendären Marquee Club um und nahm im Juni 1962 das erste britische Bluesalbum mit dem Titel „R&B from the Marquee” auf. „R&B from the Marquee”. Die Platte enthielt Stücke von Muddy Waters, Jimmy Witherspoon und Leroy Carr und wurde in den Decca Studios in West Hampstead aufgenommen.

Klangbild und Instrumentierung

Der British Blues zeichnete sich durch einen elektrischen, aber warmen Sound aus. Im Zentrum stand die E-Gitarre, die oft mit Bending, Vibrato und Blues-Skalen gespielt wurde und von B.B. King oder Albert King inspiriert war. Mundharmonika (Bluesharp), Kontrabass bzw. E-Bass, Drums und gelegentlich Piano oder Hammond-Orgel ergänzten das Klangbild. Der Gesang war roh und direkt, manchmal fast gesprochen, wie ein Bericht aus dem Unterbewusstsein.

Die Weiterentwicklung: Blues trifft Rock

1963 verließ Cyril Davies Blues Incorporated und gründete die Cyril Davies All Stars, die sich stärker am Jazz orientierten. Der elektrische Blues hingegen wurde von Bands wie:

 

weitergeführt – und in den Mainstream getragen. Besonders John Mayall wurde zur Schlüsselfigur: Seine Band The Bluesbreakers versammelte Musiker wie Eric Clapton, Peter Green, Mick Taylor, Aynsley Dunbar, Mick Fleetwood, John McVie und Jack Bruce. Fast alle von ihnen gründeten später eigene, stilprägende Bands.

Vom Bluesrock zum Heavy Metal

Ende der 1960er Jahre wurde der reine Blues von Bluesrock und Hard Rock verdrängt, die direkt aus dem British Blues hervorgegangen sind. Bands wie Led Zeppelin oder Deep Purple integrierten Bluesriffs in ihren Sound, machten ihn lauter, aggressiver und epischer. Der Blues blieb erhalten – als Fundament, als Erinnerung.

Der zweite Bluesboom

In den 1980er Jahren kam es zu einer kleinen Renaissance: The Blues Band, gegründet von ehemaligen Mitgliedern von Manfred Mann (darunter Paul Jones, Tom McGuinness, Hughie Flint und Gary Fletcher), löste eine neue Welle der Begeisterung aus. Dave und Jo Ann Kelly hielten den akustischen Blues am Leben. Es entstanden Festivals wie das Cambridge Blues Festival, der Blues bekam wieder Bühnen, Publikum und Bedeutung.

Einflüsse und internationale Verbindungen

Der British Blues war von Anfang an eine transatlantische Brücke: Er entstand durch amerikanische Einflüsse, transformierte sie in einem britischen Kontext und schickte sie als Bluesrock wieder zurück in die Welt. Ohne ihn wären Rockbands wie die Rolling Stones oder Fleetwood Mac kaum denkbar gewesen. Auch Genres wie Punk, Britpop oder Indie Rock verdanken dem Blues ihren rebellischen Unterton.

Bekannte Künstler des British Blues

  • Alexis Korner (1928–1984)
  • Cyril Davies (1932–1964)
  • Dave Kelly (geb. 1947)
  • Eric Clapton (geb. 1945)
  • Graham Bond (1937–1974)
  • Jack Bruce (1943–2014)
  • Jo Ann Kelly (1944–1990)
  • John Mayall (1933–2024)
  • Mick Jagger (geb. 1943)
  • Mick Taylor (geb. 1949)
  • Peter Green (1946–2020)